Geschäftsführerin Marion Steinmeier im Gespräch mit Martin Kaminski über …

die Angst vor dem Tod, das Abwägen von Palliativ- und Intensivmedizin, die gegenwärtige Situation von Patienten und Mitarbeitenden und die Wünsche für Gegenwart und Zukunft

Frau Steinmeier, ich habe mal geschaut was das Palliative Care Teams Aurich/Ostfriesland eigentlich ist. Ich würde es so beschreiben: Sie koordinieren wirksame Hilfen für Menschen die lebensendlich erkrankt sind. Hilfen, die nicht mehr auf Genesung abzielen, sondern dazu beitragen sollen, dass das Leben bis zum Schluss lebenswert ist.

Sehr gut zusammengefasst. In dieser Situation befinden sich die uns anvertrauten Menschen. Sie haben Krankheiten, die man nach medizinischem Ermessen nicht mehr heilen kann. Wir treten an, um ihnen in dieser Lebensphase die bestmögliche Lebensqualität zu sichern. Medizinische Versorgung, pflegerische Versorgung, psychosoziale Versorgung, aber auch rechtliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Vorsorgevollmachten. Sozusagen ein Rundumpaket.

Unsere Zeit ist geprägt davon, dass wir ständig in den Medien den Coronaticker sehen. Todeszahlen werden eingeblendet. Menschen fürchten sich vor dem Sterben. Vor dem Tod. Haben Menschen, die Ihnen anvertraut sind weniger Angst vor dem Tod?

Die Angst vor dem Sterben und vor dem Tod kann gelindert werden. Das ist das Schöne an unserem Dienst. Menschen erleben, dass Symptome ihrer Krankheit, wie zum Beispiel Schmerzen, Luftnot oder Übelkeit wirksam gelindert werden können. Mit Medikamenten, aber auch mit Zuwendung. Hier liegt natürlich in dieser Zeit eine deutliche Herausforderung, da auch wir die persönlichen Kontakte und die physische Nähe deutlich einschränken mussten. Es kann sein, dass dies Ängste verstärkt hat.

Der Tod scheint ja mit der Pandemie näher gekommen zu sein, obwohl die Fallzahlen in Ostfriesland sehr gering sind. Warum fürchten sich die Menschen eigentlich so vor dem Tod?

Das ist eine Menschheitsfrage. Als die Neandertaler begriffen, dass ihr Leben endlich ist, kam vermutlich sofort die Frage auf: Was wird aus mir? Dieses nicht wissen wohin, diese Ungewissheit ist vermutlich das, was Angst macht. Mir geht das auch so. Wo ich ungewiss bin, mache ich mir Sorgen. Und der Tod ist nun einmal die größte Ungewissheit des Lebens.

Es gibt auch Menschen, die sagen, dass sie eigentlich gar keine Angst vor dem Tod haben, sondern vor dem Sterben. Einsames Sterben ist zum Beispiel etwas, vor dem sich Menschen fürchten. In diesen Zeiten eine unter Umständen berechtigte Sorge. Fachleute aus der Palliativmedizin sagen, Medizin um jeden Preis sei nicht unbedingt im Sinne der Menschenwürde. Ich würde ehrlich gesagt lieber gut von Ihnen versorgt zuhause sterben, als mit Schläuchen im Hals auf der Intensivstation. Haben die Menschen diese Wahl?

Ja, diese Wahl hat grundsätzlich jeder Mensch. Darüber können wir uns jetzt mehr denn je klar werden. Ich habe in der Regel die Wahl wie ich lebe und ich habe auch die Wahl wie ich sterbe. Längst gibt es gute und wirksame Methoden, um darauf Einfluss zu haben. Zum Beispiel die Patientenverfügung. Der intubierte Mensch an tausend Schläuchen ist natürlich auch ein Zerrbild. Wenn ich erkrankte, würde ich mir jede Form von wirksamer Medizin wünschen, die meine Genesung möglich macht. Damit ich mein Leben wieder leben kann. Intensivmedizin also auf jeden Fall ja, wenn sie Sinn macht. Und Palliativmedizin immer, wenn sie hilfreich ist.

An wendet man sich, wenn man solche Fragen regeln möchte und Sorge hat, dies im Krankheitsfall nicht mehr tun zu können?

Eine der ersten Adressen ist immer der Hausarzt. Dann aber auch unbedingt vertraute Menschen. Und schließlich kann man das eben im Rahmen einer Patientenverfügung regeln. Auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger sind Ansprechpartner.

Wenn ich jetzt aber in einem Altenheim wohne, kann ich mich gar nicht an irgendjemanden wenden, weil niemand Zutritt hat. Muss sich da nicht bald etwas ändern?

Das ist eine schwierige Frage. Da bin ich zwiegespalten. Zum einen geschehen die Einschränkungen ja zum Schutz der Menschen. Sie werden ja nicht weggesperrt, sondern sollen vor einem vermutlich todbringenden Virus geschützt werden. Zum anderen schaden Menschen natürlich auf Dauer die Unterbindung fast aller sozialer Kontakte.

Und was sollen wir dann jetzt machen?

Wie immer einen guten Mittelweg finden. Wir müssen eben nun Regeln finden, die einen möglichst sicheren Kontakt ermöglichen.

Was wünscht sich Marion Steinmeier für ihre Patienten?

Dass sie nicht noch zusätzlich durch Corona beschwert werden, sondern eine möglichst unbeschwerte letzte Lebensphase erleben können. Dazu treten wir jeden Morgen neu an.

Jeden Morgen neu sind Sie und Ihr Team auch die Zielgruppe für den abendlichen Applaus für die systemrelevanten Berufe. Was wünschen Sie sich für Ihr Team?

Weniger Bürokratie. Mehr Rücksichtnahme. Unterstützung und Verständnis für unsere Arbeit.

Und was wünscht sich Marion Steinmeier für sich ganz persönlich?

Ich möchte in diesem Jahr nochmal mit meinem Wohnmobil irgendwo hin fahren. Das würde mir reichen.